Wer die Geschichte der Bibel von Anfang an liest, wird alsbald feststellen, dass es keine lineare Geschichte ist, die uns hier erzählt wird. Der Heilsplan Gottes läuft nicht geradlinig, sondern schreibt sich auf die krummen und verworrenen Zeilen geschichtlicher Wirklichkeit. Shalom braucht also immer wieder einen Neubeginn. Wenn wir das erste Testament betrachten, dann fällt auf, wie schwer sich das Volk tut mit dem Einhalten des Bundes. Auch die heutige Lesung aus dem Buch Jeremia spricht von einem neuen Bund, weil der vorhergehende gebrochen wurde.
Wenn wir dann in die Kirchengeschichte blicken, wiederholen sich hier die Vorgänge. Auch die Geschichte der Kirche war und ist nicht linear zu schreiben. Sie macht immer wieder Umwege und es ist die Aufgabe Gottes, auf diesen Linien seinen Heilsplan für die Menschen und die ganze Welt zu schreiben.
Bund und Frieden
Doch — wie wir beim Propheten Jeremia gehört haben — wird Gott nicht müde immer wieder aufs Neue einen Bund mit uns Menschen zu schließen. “Denn ich vergebe ihre Schuld, an ihre Sünden denke ich nicht mehr.” (Jer 31,34c) endet die Lesung. Damit Gott sein Reich bauen kann, sein Shalom sich verwirklichen kann, braucht es immer wieder den Mut neu anzufangen. In der Vorwoche ging es bei Versöhnung schon darum, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Dabei haben wir herausgearbeitet, dass ein Ruhen der Vergangenheit kein Vergessen bedeutet, sondern es Versöhnung, Aussöhnung mit der Vergangenheit braucht. Als versöhnte und mit unserer Geschichte ausgesöhnte Menschen können wir neu beginnen, für Shalom den Neubeginn wagen. Mit Blick auf den schrecklichen Krieg in der Ukraine oder im Nahen Osten wird deutlich, dass so sehr wir uns für Gerechtigkeit und Ausgleich einsetzen, diese Voraussetzungen die Spirale der Gewalt immer weiter drehen. Ein Friede wird dann fast unmöglich.
Vertrauen und Shalom
Es braucht, wenn man so will, eine Seite, die alles auf eine Karte setzt und gegen alles Misstrauen vertraut. Dieses Vertrauen hat keine Basis, es liefert sich dem Feind aus, ohne eine Garantie für die eigene Sicherheit zu besitzen. Theologisch gesehen sind wir jetzt bei Weihnachten, wo sich Gott ohne Sicherheitsnetz als Kind den Menschen ausliefert. Er tut es in der Hoffnung, dass dieser Akt des Vertrauens bei den Menschen nicht ungehört bleibt. Dasselbe Vertrauen drückt Jesus im heutigen Evangelium aus, wenn er vom sterbenden Weizenkorn spricht, das alleine bleibt, wenn es nicht vertraut und sich selbst hingibt und stirbt. Wir brauchen bei allen Entschädigungen, die nach einem langen Krieg notwendig sind, auch den Mut, die Vergangenheit tatsächlich hinter uns zu lassen. Wir brauchen den Mut, uns auf die Zukunft zu konzentrieren.
Wenn wir am Karfreitag die Passion hören werden, dann lesen wir dort, wie Jesus bei seiner Haftung die Soldaten zunächst zu Boden schickt (Joh 18,6). Erst dann können sie ihn festnehmen. Er hätte, wenn er wollte. Doch bringt er den Menschen und Soldaten, die hier kommen um ihn festzunehmen, das Vertrauen entgegen, dass es gut wird. Selbst in dieser äußersten Stunde gibt Gott die Chance zum Neuanfang, damit Shalom Wirklichkeit werden kann. Damit dieser Shalom überhaupt nur eine Chance hat, braucht es den Neuanfang und das Vertrauen, dass in Gott alles zum Guten kommt. Dieses Vertrauen wünsche ich uns allen im Kleinen wie der derzeitigen Strukturreform genauso wie im Großen, wenn es um Kriege und Menschenleben geht. Damit Shalom eine Chance hat!