Das Evangelium der Tempelreinigung präsentiert uns heute einen Jesus, der so gar nicht in unser Bild des lieben Wanderpredigers passt. Jesus wird durchaus emotional, wenn es um den Umgang mit dem Tempel geht. Eigentlich würde man ihm eine solche Reaktion gar nicht zutrauen. Vielleicht, dass er in der nächsten Predigt einen Nebensatz darüber verliert, dass sich die Händler doch etwas zurückhalten sollten, wenn sie im Tempel ihrem Geschäft nachgehen. Es sei ja schließlich ein Haus Gottes und keine Markthalle. Aber nein, er macht sich aus Stricken eine Geisel und legt quasi selbst Hand an, damit der Tempel ein Ort des Gebetes bleibt und keine Räuberhalle. Shalom und Gerechtigkeit gehören schließlich zusammen.
Gerechtigkeit und Dekalog
Auf der anderen Seite haben wir in der Lesung aus dem Buch Exodus den Dekalog — die 10 Gebote — gehört. Der Bund, den Gott mit Mose und damit mit seinem Volk geschlossen hat, gründet in der Gerechtigkeit der 10 Gebote. Sie sollen sicherstellen, dass die Menschen gut miteinander umgehen. Das mosaische Gesetz regelt das Zusammenleben der jüdischen Bevölkerung auch noch zur Zeit Jesu.
Wenn wir uns mit Shalom beschäftigen, dann müssen wir uns auch mit Gerechtigkeit auseinandersetzen. Denn ohne Gerechtigkeit ist Shalom eigentlich unmöglich. Ein einfaches Niederlegen der Waffen um sich zu unterwerfen, mag einen bewaffneten Konflikt zwar kurzfristig beenden. Aber mit Shalom hat das nichts zu tun. Es wäre fatal zu meinen, die Ukraine hätte sich doch nur ergeben brauchen, dann hätte es gar keinen Krieg gegeben. Meint tatsächlich jemand ernsthaft, dass sich der Machthunger Putins an der ukrainischen Westgrenze erschöpft hätte? Wären Bulgarien (starke prorussische Oppositiion), Ungarn (Orbans Regime würde sich dem Willen Putins vielleicht fügen) und Österreich (kein NATO Schutz, daher leichte Beute und als Pfeil zwischen Deutschland und Italien wichtig) heute vielleicht sogar unter russischer Besatzung. Staatliche Verbrechen brauchen einen Rechtsrahmen und damit Gerechtigkeit, damit Shalom (Friede) funktioniert.
Brechen wir es herunter auf unsere individuelle Situation: es zweifelt ja auch niemand ernsthaft am Verteidugungsrecht bei Angriffen. Selbst dann nicht, wenn damit selbstverständlich Gewalt ausgeübt wird. Die Frau, die sich gegen eine drohende Vergewaltigung zur Wehr setzt, ist selbstverständlich im Recht, auch wenn sie dabei den Angreifer verletzen sollte.
Shalom und Gerechtigkeit
Shalom bedeutet neben dem Schweigen der Waffen auch eine gerechte Lösung für etwaige Konflikte. Für unser persönliches Leben sorgt der Staat über Gesetze und Gerichte, dass wir alle zu unseren Rechten kommen und sie auch entsprechend beschützt werden. Für den Shalom auf internationaler Ebene haben wir im 20. Jahrhundert ebenfalls Systeme aufgebaut, damit sich Staaten auf abgeschlossene Verträge verlassen können. Das Völkerrecht, zu dem sich (fast) alle Staaten verpflichtet haben, schützt nicht nur die Bürger, sondern auch die Staaten vor gegenseitigen Ungerechtigkeiten.
Aus diesem Zusammenhang zwischen Shalom und Gerechtigkeit erklären sich auch Reaktionen Israels auf Raketenbeschuss durch die Hamas. Ein einfaches Nachgeben würde den Shalom empfindlich stören.Daher kann auch Jesus im Evangelium nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn er den Tempel entweiht sieht.
Dekalog und Shalom
Man kann den Dekalog im Übrigen auch als Zusagen Gottes lesen. Wenn wir im Shalom leben, dann werden wir Vater und Mutter ehren, dann werden wir nicht töten, stehlen, lügen oder die Ehe brechen. Aus den Verboten werden Zusagen Gottes, wenn wir seinen Bund halten. So wünsche ich uns für die kommende Woche die Erfahrung dieser Gerechtigkeit, die uns leben lässt. Wo Gerechtigkeit tatsächlich gelebt wird, dort kann auch die Sehnsucht nach Anerkennung und Achtung lebendig bleiben. Dort zeigt sich der Shalom in unserem Alltag aber auch im Versprechen Gottes. Amen.