Als mein Hund Richie im August 2018 in mein Leben trat, ging es mir gerade sehr schlecht. Ich litt unter massiven Depressionen und man könnte meinen Zustand damals durchaus als suizidal beschreiben. Durch meinen Beruf habe ich jeden Tag mit Menschen in den verschiedensten Lebenssituationen zu tun und dieser Beruf macht mir auch ungeheuer Spaß. Aber die Einsamkeit, die sich hinter allen diesen Kontakten mit Menschen verbirgt, setzte mir doch sehr zu. Denn wenn ich am Abend nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kam und die Tür hinter mir schloss, war es still, totenstill. Der Ort, der mir Geborgenheit vermitteln sollte, mir Kraft geben und Heimat sein sollte, meine Wohnung, war eigentlich mein Grab. Ich erinnere mich noch, dass in dieser Zeit meine Gedanken immer wieder nach einem Ausweg aus dieser Situation suchten, und dabei immer wieder auf eine Lösung kamen: alles beenden für immer.
Du brauchst einen Hund!
Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund habe ich mich bei einem gemeinsamen Mittagessen meiner Ärztin anvertraut. Wir haben lange gesprochen und sie erzählte mir etwas über Seelentiere und ob ich meines schon gefunden hätte. Ich wusste nicht genau, was ich davon halten sollte, spielte aber aus welchem Grund auch immer mit und am Ende war ihre Diagnose klar: „Du brauchst einen Hund!“ Ich konnte gerade noch die Fahrt ins Tierheim verhindern um mir einen auszusuchen, aber ich musste ihr versprechen, dass ich mich um einen Hund umschauen würde. Aber die Stille jeden Abend blieb und meine Depressionen wurden schlimmer.
Nur wenige Tage später war ich mit einer Gruppe beim Vorbereiten für einen Gottesdienst, als mich plötzlich jemand fragte: „Weisst du jemand, der einen Hund möchte?“ – „Ja, ich!“ hörte ich mich antworten und musste mich im nächsten Moment selbst davon überzeugen, dass ich das ganze wirklich gesagt und auch ernst gemeint habe. „Wieso?“ – „Weil wir zwei junge Welpen haben, die vor ein paar Tagen auf die Welt gekommen sind. Kannst vorbeikommen und dir einen aussuchen!“ Das ging mir dann doch etwas schnell und ich wollte davor noch mit einigen Personen reden, die davon direkt betroffen sind. Zwei Tage später war ich aber schon auf dem Hof, um mir einen der beiden auszusuchen. Ich interpretierte die Frage danach als Schicksal, das mir eben doch einen Hund zugedacht hätte.
Die Familie bot mir an, ich könne ihn jederzeit besuchen. Ich dacht mir noch: „Nein, das wars, ich komme in zwei Monaten wieder und hole ihn ab.“ Die Wirklichkeit freilich war eine ganz andere. Ich verbrachte die kommenden Wochen jede freie Minute am Hof um bei Richie zu sein. Im Laufe der Wochen konnten wir eine stabile Beziehung zueinander aufbauen. Da er sowieso noch sehr viel Schlaf brauchte, verbrachte er zumeist viel Zeit schlafend in meinen Händen.
Im Laufe der Wochen wurde Richie neugieriger und war gar nicht mehr so zufrieden, wenn ich ihn die ganze Zeit trug. Er wollte selbst die Welt erforschen und das tat er auch. Wie es sich für einen echten Hund gehört in erster Linie mit seinem Maul und der Nase. Grundsätzlich wurde alles als Futter interpretiert und auch entsprechend versucht. Erst als sich manches beim besten Willen nicht fressen ließ, wurden auch andere Verwendungszwecke zugelassen. Richie lernte jeden Tag etwas Neues und ich konnte ihn beim Wachsen beobachten.
Natürlich war es immer noch still in meiner Wohnung, wenn ich am Abend nach Hause kam. Aber es war eine andere Form der Stille. Sie machte mir gar nicht mehr so viel aus, weil ich wusste, der Tag würde kommen, an dem Richie in meine Wohnung übersiedeln würde. Dann werde ich nicht mehr alleine sein. Dann wird jemand da sein, wenn ich nach Hause komme.
Richie zieht ein
Ende September war es dann endlich soweit. Richie ist einige Tage bei mir gewesen, aber ich brachte ihn am Abend immer noch zu seiner Mama und Schwester. Am nächsten Morgen holte ich ihn dann wieder ab. Nach einigen Tagen eingewöhnen übersiedelten wir schließlich komplett und Richie hat seine neue Wohnung bezogen.
Von Anfang an fühlte Richie sich rundum wohl in seinem neuen Heim. Auch wenn es natürlich bedeutete, viele neue Regeln zu lernen. Am Hof war Richie eigentlich rund um die Uhr draußen im Garten oder im Stall. Das Leben in der Wohnung ist da schon etwas anderes.
Richie heute
Heute, mehr als vier Jahre später ist Richie nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken. Von Anfang an hat er mein Leben bereichert und mich glücklich gemacht. Wenn ich heute nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause komme und die Tür hinter mir schließe, dann ist da jemand, der mich stürmisch begrüßt und sich unendlich freut, dass ich zu Hause bin. Ich weiß nicht, ob ich heute noch am Leben wäre, wenn ich damals nicht geantwortet hätte: „Ja, ich!“