Von Liebhaberin und Ehefrau bis zur Prostituierten werden Maria Magdalena viele Rollen in der Kirchengeschichte zugeschrieben. Doch wer war diese Frau im Gefolge Jesu tatsächlich? Was lässt sich fernab von Verschwörungserzählungen von dieser Frau sagen?
Maria Magdalena als Prostituierte
Einer der Pharisäer hatte ihn (Jesus) zum Essen eingeladen. Und er ging in das Haus des Pharisäers und begab sich zu Tisch. Und eine Frau, die in der Stadt lebte, eine Sünderin, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers zu Tisch war; da kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran zu seinen Füßen. Dabei weinte sie und begann mit ihren Tränen seine Füße zu benetzen. Sie trocknete seine Füße mit den Haaren ihres Hauptes, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. … Er (Jesus) wanderte von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn und auch einige Frauen, die von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Königs Herodes, Susanna und viele andere. Sie unterstützten Jesus und die Jünger mit ihrem Vermögen.
Lukasevangelium 7,36-38; 8,1-3
Als in den ersten Jahrhunderten die Listen der Heiligen und der biblischen Personen verfasst wurden, identifizierte man die Sünderin, die Jesus die Füße salbte, mit Maria Magdalena, weil sie in der darauffolgenden Aufzählung der Frauen als erste genannt wird. Auf der anderen Seite hat die Sünderin keinen Namen. Bei genauerem Lesen führt sich diese Idee allerdings ad absurdum. Am Ende der Begegnung mit der Sünderin, ruft Jesus sie nämlich nicht in seine Nachfolge, sondern schickt sie zurück in ihr Leben: „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!“ (Lk 7,50) Spätestens seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist daher allgemein klar, dass Maria Magdalena und diese Frau, die Jesus die Füße salbt, zwei unterschiedliche Personen sind.
Schade finde ich eigentlich nur, dass beim Gang durch die Ausgrabungsstätte von Magdala am See Genesareth in der neu gebauten Kirche genau diese Szene allgegenwärtig ist. Offensichtlich ist bei der reaktionären Gruppe, die diese Ausgrabungsstätte begleitet, die Faszination der Füße übrig geblieben.
Maria Magdalena als Liebhaberin
So spricht die Braut: Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Aufstehen will ich, die Stadt durchstreifen, die Gassen und Plätze, ihn suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Mich fanden die Wächter bei ihrer Runde durch die Stadt. Habt ihr ihn gesehen, den meine Seele liebt? Kaum war ich an ihnen vorüber, fand ich ihn, den meine Seele liebt.
Hohelied 3,1-4a
Maria Magdalena spielte sicherlich eine besondere Rolle in der Jüngerschaft Jesu. Die Kirche zieht an ihrem Festtag das Buch Hohelied heran, um ihre Beziehung zu Jesus zu beschreiben. Dieses alttestamentliche Buch beschreibt die Beziehung eines Paares (Braut und Bräutigam), die einander suchen und schließlich finden. In wunderschönen Gedichten beschreiben die beiden ihre Gefühle füreinander und zueinander.
Apostola Apostolorum
Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. Die Engel sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Man hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat. Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen. Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern, und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie richtete aus, was er ihr gesagt hatte.
Johannesevangelium 20,1.11-18
Papst Franziskus bezeichnet Maria Magdalena als „Apostola Apostolorum“, als „Apostelin der Apostel“. Damit ist ausgedrückt, was im Johannesevangelium festgehalten ist: Sie ist die erste Zeugin der Auferstehung. Es ist Maria, die die Botschaft von Ostern zu den Aposteln trägt, später in die Welt. Damit ist wohl auch ausgesagt, was sich biblisch von dieser Frau im Gefolge Jesu sagen lässt: erste Zeugin der Auferstehung.
Dass dieses Evangelium selbstverständlich vielschichtiger ist, als wir es vielleicht auf den ersten Blick vermuten wollen, ist selbstverständlich. Hier möchte ich nur ein Detail erwähnen, das unsere genauere Aufmerksamkeit braucht: Wie schafft es Jesus, in das Aussprechen des Namens „Maria“ so viel Empathie hineinzulegen, dass sie instinktiv versteht: es ist Jesus, der sie da anredet? Warum verwendet Maria in ihrer Antwort nicht das „Rabbi“, das der Ansprache eines Meisters durch einen Schüler entsprechen würde, sondern das wesentlich vertrautere „Rabbuni“, das fast schon aus der Kosesprache stammt?