Zum ersten Teil der Geschichte
Nächster Tag …
Surrr!! – Halt, ich bin doch gestorben, ich habe genug von der Welt. Was ist das für ein Surren, das überhaupt nicht aufhört. Soll das die Hölle sein, weil ich mich selbst getötet habe? Ein wohliger Duft steigt in meinen Riecher. Vielleicht doch der Himmel? – Kann jemand dieses lästige Surren abstellen!! – Einen solchen Duft habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr gerochen, das muss definitiv der Himmel sein. Juhuu!! Ich habe es in den Himmel geschafft.
Aber das Surren müssen sie noch in den Griff kriegen, das hält ja keiner aus. Ich habe fast das Gefühl als würde es immer lauter werden. Mal ausprobieren: Kann ich meine Augen öffnen? Wie wird es wohl im Himmel aussehen? Ich bin schon gespannt, wie die Engel wirklich aussehen. “Hoffentlich keine kitschigen Barockengerl!” schießt es mir durch den Kopf. Vielleicht sehen sie ja auch alle aus wie Hamster, dann bin ich wenigstens nicht mehr allein. Alleine sein, bitte nicht! Ich möchte doch einfach nur dazugehören, nur einmal das Gefühl haben, gewollt zu sein. Aber wer braucht schon einen Hamster, wenn ich es schon als Mensch nicht geschafft habe.
Ich habe immer noch Angst, meine Augen zu öffnen: Was, wenn es mir hier im Himmel nicht gefällt? Schlimmer als vorher kann es allerdings gar nicht sein! – Also Augen auf! – Langsam öffnen sich meine Augen und ich blicke in die Richtung, woher ich das Surren vermute. Zunächst erkenne ich gar nichts. Das Licht blendet mich so stark, dass ich fast blind werde. Ach, muss der Himmel schön sein. Meine Augen werden sich sicherlich daran gewöhnen, haben ja eine ganze Ewigkeit Zeit. Ich bin einfach nur glücklich!! War ja doch die richtige Entscheidung, nicht mehr aufwachen zu wollen. Das hätte ich schon viel früher machen sollen!
Nach einigen Momenten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, stellen sich meine Augen scharf. Ich blinzle im Sonnenlicht auf meinen Wecker, der unaufhörlich surrt und darauf wartet, dass ich ihn endlich abschalte. Ich bin nicht im Himmel, sondern rieche die frische Bettwäsche meines Bettes. Vorsichtig hebe ich die Decke in die Höhe und blicke an meinem Körper nach unten. Ich kann es kaum glauben, ich habe meinen “alten” Körper wieder zurück. Keine Spur mehr vom Hamsterkörper. War das alles nur ein böser Traum? Aber dieser Traum hat sich schon sehr real angefühlt. Ich dachte tatsächlich, ich wäre gestorben und im Himmel gelandet.
Nachdem ich den Wecker abgestellt habe und mich im Bett aufgerichtet habe, greife ich nach meiner Brille und Armbanduhr, um mich für den Tag vorzubereiten. Noch einmal gehe ich in Gedanken den heutigen Tag durch: Zunächst das Treffen mit der Lehrerin, dann der Gottesdienst und schließlich das Seminar in Linz. Die Erledigungen in der Mittagspause und hoffentlich Zeit für wichtige Telefonate. Autsch! – Irgendetwas brennt an meinem Handgelenk, als ich versuche, die Armbanduhr anzulegen. Beim Hinsehen bemerke ich einen Kratzer, der am Abend definitiv noch nicht da war.
Hamsterrad?
Irgendwie fühle ich mich gerade ein klein wenig unwohl: Könnte es sein, dass…? – Nein, Schwachsinn, so was gibt es nicht! Wahrscheinlich habe ich mich Schlaf selbst gekratzt oder sonst was. Bloß nicht verrückt machen lassen von so einem kleinen unbedeutenden Kratzer. Ab unter die Dusche, das bringt den Kreislauf wieder in Schwung und dann ab in den Tag. Autsch!! Als ich aufzustehen versuche, stürze ich zu Boden. Mein linker Fuß hat unter starken Schmerzen nachgegeben. Das Fußgelenk ist ganz massiv angeschwollen. Was ist denn da passiert? Wieder steigen Erinnerungsfetzen in mir auf. Kann es sein, dass mein Hamsterleben vielleicht gar kein Traum war? Das würde meinen Kratzer und vor allem meinen geschwollenen Knöchel erklären. Was ist bloß los? Aber das darf einfach nicht sein und es kann nicht sein, was nicht sein darf!
Doch woher kommen dann die Verletzungen? Der Kratzer unter meiner Armbanduhr erinnert mich gerade wieder, dass ich die perfekte Erklärung hätte, wenn sie denn möglich wäre. Langsam krieche ich – wieder auf allen vieren – ins Badezimmer und anstatt der Dusche in die Badewanne. Ich muss nachdenken, denn wenn alle anderen Möglichkeiten ausscheiden, muss die verbleibende, so unwahrscheinlich sie auch sein mag, die richtige sein.
Nach dem heißen Bad, das meine Verwirrungen nur noch steigerte, habe ich mir meinen Knöchel notdürftig verarztet und robbe wieder zurück ins Schlafzimmer, um mich fertig anzuziehen und den Termin mit der Lehrerin und das Seminar abzusagen. Mit diesem Fuß kann ich nämlich unmöglich Auto fahren.
Als ich mich endlich ins Wohnzimmer schleppe und zum Smartphone greife, um die entsprechenden Telefonate zu erledigen, sehe ich am Display “358 entgangene Anrufe”. Wow, was war denn diese Nacht los! Das hatten wir ja noch nie! Ich ignoriere vorerst die Nachricht und wähle zunächst die Nummer der Lehrerin, um den Termin abzusagen. Zugegeben, ich habe schon ein wenig ein schlechtes Gewissen, dass ich erst jetzt anrufe, aber gestern Abend hatte ich ja noch keine Ahnung, was in dieser Nacht passieren würde.
Etwas verschlafen meldet sich am anderen Ende der Leitung eine Frauenstimme: “Guten Morgen! Was gibt’s?” – Mein schlechtes Gewissen steigert sich sekündlich. “Ich wollte nur unseren Termin heute Morgen absagen. Hast du am Nachmittag Zeit? Ich werde nämlich nicht nach Linz zum Seminar fahren, ich habe mir den Knöchel verstaucht.” – “Welcher Termin? Es ist Samstag Früh, wir haben keinen Termin, tut mir leid! Beim letzten Termin vorigen Freitag hast du mich ja versetzt. Ich habe unzählige Male versucht dich anzurufen, aber du warst nicht erreichbar!” – “Tut mir leid, aber da ist wohl etwas ziemlich daneben gegangen. Dann ein schönes Wochenende!” erwidere ich ziemlich kleinlaut.
Was ist passiert? Beim Auflegen sehe ich, dass seit ich in dieser Nacht ins Bett gegangen bin, eine ganze Woche vergangen ist. Was war in dieser Woche los? War ich tatsächlich ein Hamster für eine Woche? Wenn ja, warum lebe ich dann noch? Schließlich wollte ich doch nie mehr aufwachen. Ist das ganze eine Art “Zweite Chance”? Ich glaube, ich werde in meinem Leben einiges ändern müssen. Die Erfahrung als Hamster hat mir einiges sehr drastisch vor Augen geführt. Wenn das wirklich eine zweite Chance ist, dann möchte ich sie nutzen, nicht als Hamster, sondern als Mensch. Ich möchte meinen Träumen und Sehnsüchten nachjagen anstatt sie zu begraben. Ich möchte leben, lieben und geliebt werden.