Vor 75 Jahren – am 10. Dezember 1948 – veröffentlichten die Vereinten Nationen (UNO) die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“. Die Erfahrung des Genozids am Judentum in den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus und die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges sorgten für ein neues Bewusstsein für Menschenrechte. Die Idee der Menschenrechte ist nicht neu. Aber mit dieser Erklärung kamen erstmals Menschenrechte von der Gelehrtenebene der Universitäten zu den Menschen auf der Straße.
Heute scheinen die Menschenrechte fast etwas in Vergessenheit zu geraten. Oft habe ich den Eindruck, dass wir sie als selbstverständlich voraussetzen und sie daher nicht entsprechend schätzen. Deshalb fällt es uns auch nicht auf, wenn in einigen Bereichen die Menschenrechte gerade von Minderheiten mehr oder weniger stark eingeschränkt werden. Unter diesen Vorzeichen möchte ich mich anlässlich des Jubiläums ein wenig mit dieser so wichtigen Erklärung auseinandersetzen.
Grundrechte als Vorläufer der Menschenrechte
Die Idee von Grundrechten ist bereits sehr alt. Die Demokratie im antiken Athen oder die Republik im alten Rom setzen Grundrechte für die Menschen voraus. Auch wenn das Wahlrecht damals nicht für alle galt, so brauchte man dafür doch gewisse Regeln und Rechte. Bekannt ist in Europa die Magna Charta in England, mit dem sich die Bürger Englands Mitbestimmung und gewisse Grundrechte sicherten. Doch war man in allen diesen Systemen noch weit von einer Ausbreitung dieser Rechte auf alle Menschen entfernt. Sie galten im Wesentlichen nur für die Aristokratie.
Aufklärung und Menschenrechte
Im Mittelalter hatte die Ethik ihre Rechtfertigung im Wesentlichen im Gottesglauben. Die Philosophie der Aufklärung versuchte sich ab dem Beginn der Neuzeit davon zu lösen. Es wurden eigene Regeln der Ethik aufgestellt. Es war der deutsche Philosoph Immanuel Kant, der im sog. kategorischen Imperativ eine ethische Handlungsmaxime aufstellte, die gänzlich ohne Gottesbezug auskam. Vor allem in der deutschen Philosophie wurde die Einheitsidee wichtig. Der kategorische Imperativ bewirkt, dass die Menschen gewisse Rechte und Pflichten bekommen. Die Idee der EINEN Menschheit legte nun eine allgemeine Erklärung der Menschenrechte nahe. Doch war man davon in der konkreten Umsetzung noch weit entfernt.
Demokratie und Menschenrechte
Im Laufe des 19. Jahrhunderts begannen allerdings die absoluten Herrscherhäuser in Europa immer mehr aufzubrechen. Eine neue politische Richtung machte sich breit. Schön langsam wanderte die Idee der Mitbestimmung von den Lehrstühlen der Universitäten hinaus auf die Straße. In Amerika entstand nach dem Unabhängigkeitskrieg ein Staat, der ein ganz neues politisches System lebte. Hier entstand plötzlich eine Demokratie mit einer eigenen geschriebenen Verfassung. Diese definierte Rechte und Pflichten der einzelnen Bürger, damit das Zusammenleben funktionierte.
Auch wenn in Europa die französische Revolution scheiterte, lies sich die Idee von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht mehr aufhalten. Bei den Aufständen von 1848 zeigte sich die Explosivität der damaligen Gesellschaft in Mitteleuropa. Die Demokratie war auf dem Vormarsch, die Zeit absoluter Herrscher vorbei.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchien in weiten Teilen Europas begann sich diese Idee auch auf die Kolonien auszudehnen. Viele Länder wurden nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker plötzlich unabhängig und frei. Die Habsburger Monarchie zerfiel in viele kleine Staaten. Wahlen bestimmten plötzlich über Regierungen. Schnell wurde klar, dass Demokratie auch Regeln mit Rechten und Pflichten brauchte. Aber die Menschen in Europa waren Demokratie nicht gewohnt, konnten mit ihrer Freiheit nur schwer umgehen. Bewaffnete Verbände brachten demokratische Regierungen zu Fall: in Österreich, in Italien, in Deutschland und anderen Ländern. Der neu gegründete Völkerbund konnte die Welt nicht vor der nächsten Katastrophe retten: Zweiter Weltkrieg (1939-1945).
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Das Bekenntnis „NIE MEHR“ nach dem Ende des Krieges sorgte dafür, dass die Welt versuchte Sicherungen einzubauen, damit sich eine derartige Katastrophe nicht wiederholen könne. Die Gründung der Vereinten Nationen (UNO) war ein solcher Schritt. Am 10. Dezember 1948 verkündete schließlich die Generalversammlung der UNO in Paris die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“. In dieser Erklärung finden sich nun in 30 Artikeln die wichtigsten Menschenrechte. Angefangen vom Recht auf Leben über das Recht auf freie Meinungsäußerung und Religionsausübung bis hin zur Pressefreiheit und der freien Wahl des Wohnortes.
Auch wenn die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte niemals zum Gesetz wurde, so ist diese Erklärung doch entscheidend für das Bewusstsein allgemeiner Menschenrechte. Neben der Aufzählung der einzelnen Rechte liefert sie nämlich in der Präambel eine Begründung von Menschenrechten. Diese Begründung ist vielleicht noch viel weitreichender als ein konkretes Recht, das sich daraus ergibt.
Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet,
da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen, und da verkündet worden ist, daß einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt,
da es notwendig ist, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der Mensch nicht gezwungen wird, als letztes Mittel zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung zu greifen,
da es notwendig ist, die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen zu fördern,
da die Völker der Vereinten Nationen in der Charta ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen in größerer Freiheit zu fördern,
da die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen auf die allgemeine Achtung und Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten hinzuwirken,
da ein gemeinsames Verständnis dieser Rechte und Freiheiten von größter Wichtigkeit für die volle Erfüllung dieser Verpflichtung ist,
verkündet die Generalversammlung
diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung vor diesen Rechten und Freiheiten zu fördern und durch fortschreitende nationale und internationale Maßnahmen ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und Einhaltung durch die Bevölkerung der Mitgliedstaaten selbst wie auch durch die Bevölkerung der ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Gebiete zu gewährleisten.
Präambel zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Artikel 1 legt dann noch nach: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Jetzt endlich gelten die Menschenrechte tatsächlich für alle Menschen. Es gibt keine anderen Kriterien als die Zugehörigkeit zur biologischen Gattung „Mensch“.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und was nun?
Diese Erklärung der Vereinten Nationen war ein Meilenstein in der Entwicklung von Menschenrechten. Doch die Erklärung erlangte nie Gesetzeskraft. Es brauchte auf Basis dieser Erklärung weitere Verhandlungen und Gespräche, wie daraus Gesetze werden könnten. Natürlich darf man nicht verschweigen, dass in den meisten westlichen Verfassungen Teile dieser Erklärung beinhaltet sind und daher auch Gesetzeskraft in den einzelnen Staaten besitzen. Doch hat man gerade mit Blick auf Nazi-Deutschland gesehen, was staatliche Gesetze über Menschenrechte wert sind, wenn sie von Terrorregimen wie jenem der Nazis selbst gebrochen werden.
Muss es für Menschenrechte nicht auch ein internationales Anrecht geben? Die Vereinten Nationen wären hier wohl zuständig, sofern es sich dabei um die Verletzung internationaler Verträge und Konventionen handelt. Doch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde niemals ein Vertrag oder eine Konvention. Es blieb eben bei der Erklärung mit allen Vor- und Nachteilen, die damit verbunden sind.
Europäische Menschenrechtskonvention
Ein zentraler Bestandteil dieser Umsetzung der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in das Rechtssystem ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die 1953 in Kraft tritt und von fast allen europäischen Staaten unterzeichnet wurde. In Österreich besitzt diese Konvention Verfassungsrang und ist daher im Unterschied zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auch gerichtlich einklagbar national und international über den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Im Laufe der vergangenen 70 Jahre ist diese Konvention immer wieder ergänzt und überarbeitet worden, damit sie auf die Herausforderungen unserer Zeit reagieren kann. Natürlich sind die Rechte hier mit ganz vielen Ausnahmen versehen, aber immerhin sind damit erstmals in Europa Menschenrechte international abgesichert und garantiert.
75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte feiern?
Ich persönlich finde, dass 75 Jahre Menschenrechte durchaus ein Grund zum Feiern sind. Es ist für mich die Erinnerung, dass diese Rechte nicht immer schon klar waren, sondern bitter erkämpft wurden. Die Erinnerung, dass dafür Millionen Menschen sterben mussten, bis wir als Menschheitsgeschlecht erkannten, dass doch alle Menschen gleich sind. Doch so sehr wir diese Erklärung feiern, so sehr müssen wir auch immer wieder daran arbeiten, dass in unserem Umfeld, in unserem Land Menschenrechte aller Menschen eingehalten werden. Ich freue mich über 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und es macht mich nachdenklich zu sehen, wie viel an Weg noch vor uns liegt, damit tatsächlich alle Menschen auf dieser Erde menschenwürdig leben können und Menschenrechte besitzen.