Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden. Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.
Johannesevangelium 9,3-5
Jesus begegnet im heutigen Evangelium einem Mann, der blind geboren wurde. Die Menschen damals fragen nach dem Grund der Blindheit. Wer hat gesündigt? Er selbst, seine Eltern? Die Blindheit des Mannes wird als Ergebnis der Sünde gedeutet. Jesus bricht diese Deutung auf und bezeichnet sich selbst als das Licht der Welt. Licht und Tag werden als Gegenpole zur Nacht und Blindheit. Jesus öffnet dem Blinden die Augen. Er führt ihn von der Nacht in das Licht. Doch diese Heilung löst Fragen und Diskussionen aus. Die Menschen können damit scheinbar nicht umgehen. Weil die Menschen nicht verstehen, lehnen sie die Heilung ab. Ja sie machen das Licht selbst zur Sünde!
Licht und Blindheit heute
Der Gedanke, dass Krankheiten oder Schicksalsschläge mit Sünde zu tun hätten, mag uns heute oft fremd erscheinen. Aus ganz vielen Gesprächen mit Menschen traue ich mich aber zu sagen, dass dieser Zusammenhang auch uns nicht ganz so fremd ist. Gerade nach schweren Schicksalsschlägen stellen sich viele Menschen die Frage nach der Schuld. „Was habe ich denn getan, dass …?“ oder „Womit habe ich das verdient?“ sind leider Fragen, die trotz unserer Aufgeklärtheit sehr schnell in unserem Kopf herumspuken. Jesus versucht mit seiner Antwort dem Teufelskreis von Schuld und Sünde zu entkommen. In den schwierigen Zeiten, bei Schicksalsschlägen kann auch das Beste im Menschen sichtbar werden: Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft.
Das Öffnen der Augen des Blinden ist für mich dieses Einfühlungsvermögen und diese Hilfe, die der Mann braucht. Jesus tritt direkt mit dem Mann in Kontakt, streicht ihm „Teig“ auf die Augen, berührt ihn und schenkt ihm so Licht. So wie bei der Begegnung am Jakobsbrunnen, ist es auch hier die Begegnung mit Jesus, die verändert.
Zum Licht der Welt werden
Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft macht Schicksalsschläge nicht rückgängig, aber es hilft, damit fertig zu werden. Auch wenn wir keine Antwort auf die Ursache bekommen, kann es uns gelingen, besser damit umzugehen. Wenn wir erleben, dass wir in unseren Schicksalsschlägen nicht alleine sind, kann uns diese Erfahrung trösten. Manchmal erfahren wir in dieser Gemeinschaft sogar Geborgenheit. Wo wir füreinander da sind, können wir zum Licht der Welt für unsere Mitmenschen werden.
Zum Jünger werden
Wenn es tatsächlich eine Heilungsgeschichte wäre, dann könnte die Geschichte hier enden. Aber es folgt eine Reihe von Begegnungen zwischen Pharisäern, den Eltern des Blinden und des Nun Sehenden. Doch es scheint als würden die Dialoge aneinander vorbeigehen. Der geheilte Mann versucht sich zu erklären, aber das Establishment hält dagegen. Anstatt sich mit dem Mann über seine Heilung zu freuen, suchen sie das sprichwörtliche Haar in der Suppe. Am Ende stoßen sie ihn sogar aus ihrer Gemeinschaft aus.
Als Jesus davon erfährt, kommt es wieder zu einer Begegnung zwischen dem Mann und Jesus. Was in der ersten Begegnung begann, findet nun seine logische Fortsetzung. Der Geheilte sehnt sich nach Gemeinschaft, er möchte dazugehören. Das damalige Establishment verweigert ihm diesen Platz in ihrer Mitte. In der neuerlichen Begegnung mit Jesus, erkennt der Geheilte in diesem Mann, der ihn gesund machte, den Messias, den Menschensohn. So wird aus dem Ausgestoßenen ein Jünger Jesu. Er wird Teil dieser Gemeinschaft, seine Sehnsucht erfüllt sich.
Vom Licht der Welt zur gestillten Sehnsucht
Wir erleben also im heutigen Evangelium einen Wandel: Am Beginn sucht der Mann das Licht. Es begegnet ihm in Jesus. Dass der Mann plötzlich sehen kann, lässt ihn auch mit seiner Umwelt anders umgehen. Er ist nicht mehr gefangen in der Dunkelheit der Nacht, sondern möchte teilhaben an der Gemeinschaft der Menschen. Das damalige religiöse Establishment kann allerdings mit dieser Veränderung nicht umgehen. Sie ist gefangen in der Suche nach Antworten, die sie in ihren Gesetzen suchen. Die Sehnsucht des Mannes bleibt unbeantwortet. Der Mann begegnet noch einmal diesem Jesus und erfährt, dass hier seine Sehnsucht gestillt wird.
Wie gehen wir heute mit Menschen um, die in unserer Pfarrgemeinschaft mitleben wollen, aber vielleicht nicht in unsere Vorstellungen passen? Das Beispiel Jesu kann auch unsere Augen öffnen, denn auch wir sind gerufen, Licht der Welt zu sein.