Heute beginnen wir die Weltgebetswoche für die Einheit der Christen. Die Bewegung der Ökumene versucht seit Jahrzehnten Trennendes zu überwinden, damit Einheit möglich wird. Dazu hat die ökumenische Bewegung einen Weg gefunden. Aus Furcht, die anderen vor den Kopf zu stoßen, verzichtet sie auf die Eigenheiten der einzelnen Traditionen. Ich möchte in diesem Beitrag einen anderen Weg versuchen. Ich weiß nicht genau, wohin er führen wird, aber ich halte es für den Versuch wert.
Wert einer „subtraktiven“ Ökumene
Diese in der Einleitung angesprochene Form der Ökumene hat durchaus seinen Wert. In jeder christlichen Tradition hat sich im Laufe der Jahrhunderte Vieles angesammelt, was heute nicht mehr verstanden wird und daher auf andere verstörend wirken kann. In den verschiedenen Begegnungen der verschiedenen Traditionen sind diese Themen oft genau die Schwierigsten. Denn jede Tradition hat gelernt, auf diese Auswüchse bei den anderen zu blicken, sie entsprechend hochzuschaukeln und so Argumente gegen die jeweils andere Tradition zu bekommen. Als nun die ökumenische Bewegung begann diese Sonderformen zu entfernen, wurde dadurch natürlich das jeweilige Zentrum jeder Tradition sichtbarer. Nachdem alles weggeräumt wurde, was sich im Laufe der Jahrhunderte in den einzelnen Traditionen entwickelt hat, blieb nur noch das Zentrum des Glaubens über: der Glaube an den dreifaltigen Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist.
Probleme bei dieser Form der Einheit
Natürlich ergeben sich auf der anderen Seite bei dieser Form der Ökumene einige Probleme. Am Ende bleibt eine minimalistische Religion über. Eine „subtraktive“ Form der Einheit stellt das Zentrum des Glaubens in den Vordergrund und kann uns helfen, eine Art „Hierarchie der Wahrheiten“ zu finden. Wenn wir allerdings bei dieser Form stehenbleiben, verlieren wir unweigerlich Formen der christlichen Religionsausübung, die uns allen wichtig geworden sind. Jede Tradition wird, damit sie andere nicht vor den Kopf stößt, unweigerlich ärmer. Am Ende stehen wir vor der Gefahr, dass kaum noch etwas übrig bleibt von der reichen Überlieferung, die wir in jeder Tradition finden.
Gibt es eine Alternative?
Ich frage mich seit Langem, ob es nicht irgendeine Alternative geben kann. Wenn die Einheit ein so wichtiges Ziel christlicher Botschaft ist, kann diese Einheit doch nicht den Reichtum unserer Traditionen zerstören. Ich sehe die Einheit als Eckstein der Glaubwürdigkeit christlichen Glaubens. „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ (Joh 17,22) betet Jesus am Ende seines Lebens. Daher braucht es dringend einen neuen Ansatz im Verständnis von Ökumene und Einheit. Vor einigen Monaten schließlich habe ich einen Vortrag gehört, der einen völlig anderen Ansatz von Ökumene vertritt. Faszinierend daran war für mich vor allem, dass er nicht von einem Katholiken, sondern von einem Pastor einer Pfingstgemeinde kam. Er vertrat in diesem Vortrag die Idee einer „integrativen Ökumene“.
Was bedeutet „integrative Ökumene“?
Integrative Ökumene geht nun den umgekehrten Weg. Hier blickt man auf die verschiedenen Traditionen als Schätze, die gepflegt und gefördert werden. Egal ob Eucharistie, Rosenkranz oder der Lobpreis und das Sprachengebet, in dieser Suche nach Einheit gehen Menschen aufeinander zu und versuchen in den Traditionen der anderen eine Bereicherung ihres eigenen religiösen Lebens und ihrer Tradition zu finden. Die verschiedenen Traditionen des Christentums werden hier also nicht ausgeblendet, sondern in die eigene Form integriert.
Worin besteht die Herausforderung?
Ich denke, die große Herausforderung an dieser Form der Ökumene ist das Verlassen unserer Komfortzone. Wenn wir in eine andere Tradition eintauchen, dann verstehen wir manchmal vielleicht nicht alles sofort. Es ist aber wichtig, Dinge trotzdem stehen zu lassen, anstatt sofort zu beurteilen oder noch schlimmer zu verurteilen. Hier brechen alte Gegensätze zwischen den verschiedenen Traditionen auf, weil keine Tradition auf einen eigenen Schatz verzichtet. Sie trennen allerdings nicht, sondern holen alle Beteiligten aus ihrer Wohlfühlzone, indem sie sich auf Neues und vielleicht Unbekanntes einlassen.
Bevor wir aber mit dieser Form der Suche nach Einheit beginnen können, ist es notwendig, das gegenseitige Misstrauen, das sich im Laufe der letzten Jahrhunderte aufgebaut hat, wieder loszuwerden. Damit sich Traditionen nicht gegenseitig als Bedrohung, sondern als Bereicherung füreinander empfinden können, braucht es Vertrauen. Es braucht das Vertrauen, dass auch im anderen der Heilige Geist wirkt. Es braucht das Vertrauen, dass auch die/der andere ehrlichen Herzens nach Gott sucht und ihn findet. Erst wenn wir dieses Vertrauen haben, können wir unsere eigene Sicherheitszone verlassen und uns auf die anderen zubewegen.
Wahrheit und Vielfalt
Sobald wir über Einheit diskutieren, entsteht die Angst, dass Wahrheit hier keinen Platz hätte. Doch braucht ein durch und durch jenseitiger Gott nicht die Vielfalt, damit wir von ewiger Wahrheit reden können? Ist eine Einschränkung im Sinne unserer begrenzten Denkweise nicht immer eine Einschränkng seiner Wahrheit? Die Vielfalt der einzelnen Traditionen verhindert also Einheit nicht, sondern fordert uns heraus, uns auf den Nächsten und dessen Tradition einzulassen. Erst wenn wir einander vertrauen wird aus der Angst vor dem Verlust der Wahrheit die Freiheit der Vielfalt, die dann keine Bedrohung mehr darstellt, sondern befruchtet und ins Leben führt.