Mit diesem Post möchte ich direkt an meinen letzten Beitrag über die Gerechtigkeit Gottes anschließen. Gerade im Angesicht der Zerrissenheit unserer Welt, braucht es einen Perspektivenwechsel in unserem Denken. Um den Krisen und Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen brauchen wir Zusammenhalt, wir brauchen Solidarität.
Blick in die Welt von heute
Gerade an einem Tag wie heute ist der Blick in die Welt von heute schwierig. Natürlich sind auch meine Gedanken bei den Menschen, die vom Gewaltausbruch im Nahen Osten betroffen sind und darunter leiden. Aber auch hier wird sichtbar, was wir in den letzten Jahren immer mehr wahrnehmen: Wir leben in einer Welt zunehmender Ich-Perspektive. Immer öfter ist das ICH der Nabel der Welt. Vor lauter Spiegeln sehen wir das DU in unserem Leben gar nicht mehr. Die Fragen stellen sich dann: Was bringt mir das? Was habe ich davon? Wie kann ich das meiste für mich dabei herausholen? Oft erscheinen mir auch in den Gesprächen zur kirchlichen Strukturreform ähnliche Fragen im Mittelpunkt zu stehen.
Ist diese Konzentration auf sich selbst nicht aber genau das Problem, das die Winzer im heutigen Gleichnis haben. Als sie den Sohn kommen sehen, funkeln nur noch die Goldbarren in ihren Augen, denn wenn sie den Erben töten, könnten sie selbst das Land übernehmen. Das Gleichnis führt uns aber auch drastisch vor Augen, was die Konsequenzen dieses Handelns sind: Vernichtung.
Solidarität als Alternative
Paulus gibt uns in seinem Brief an die Philipper einen anderen Auftrag:
Was immer wahrhaft, edel, recht,
Philipperbrief 4,8
was lauter, liebenswert, ansprechend ist,
was Tugend heißt und lobenswert ist,
darauf seid bedacht!
Wenn wir nun erkannt haben, dass diese ständige Fokussierung auf uns selbst nicht zum Ziel führt, wäre es dann nicht sinnvoll über eine Alternative nachzudenken? Dazu möchte ich uns heute auf ein Gedankenexperiment einladen. Es ist nur ein Experiment, wenn Du damit nicht zufrieden bist, kannst Du es jederzeit abbrechen und Du bist wieder zurück in Deinem Alltag. Ich warne allerdings vor, wenn Du Dich auf dieses Experiment einlässt, kann es Deinen Blick auf die Welt und Dich selbst verändern, es kann Dich glücklicher und zufriedener machen. Wollen wir uns gemeinsam auf dieses Gedankenexperiment einlassen?
Solidarität als Experiment
Stell Dir doch für einen Moment vor, Du könntest aus dem Drang „immer mehr haben zu wollen“ ausbrechen! Stell Dir vor, Du könntest tatsächlich nach den Grundzügen des Paulus aus der Lesung handeln! Stell Dir vor, Du würdest Deinen Mitmenschen nicht mehr als Mittel zum Zweck, sondern als Geschwister betrachten, die mit Dir gemeinsam unterwegs sind! Ihr würdet Euch plötzlich nicht mehr als Konkurrenten, sondern als Gemeinschaft betrachten. Weil Ihr mit niemandem in Konkurrenz steht, wäre Eure Gemeinschaft auch nicht abgeschlossen, sondern jede und jeder könnte dabei mitmachen und dazugehören. Alles, was es dazu braucht, ist die Achtung und der Respekt – in der Sprache der Bibel die Liebe – voreinander. Kannst Du Dir vorstellen, dass diese kleine Änderung im Umgang miteinander, unser Leben verändern kann?
„Aber was ändert meine Achtung und mein Respekt schon im Angesicht der Krisen unserer Zeit?“ höre ich fast den Einwand. Doch lass uns das Gedankenexperiment noch einen Schritt weiter fortsetzen. Ist es nicht möglich, dass Menschen, die erleben, dass ihnen mit Respekt und Achtung begegnet wird, diese Erfahrung teilen wollen? Werden nicht auch sie diese Erfahrung ihren Familien und Freunden weitergeben wollen? Früher oder später werden dann in allen Pfarren und Pfarrgemeinden solche Inseln der gegenseitigen Achtung und des gegenseitigen Respekts entstehen, die dann eine Anziehungskraft für die Menschen haben. So wird sich bereits morgen Dein Leben verändern und Du wirst einen Funken des Reiches Gottes in Deinem Leben erfahren und spüren.
Achtung und Respekt verändern die Welt
Natürlich nicht heute und auch nicht morgen, aber mit Sicherheit über kurz oder lang wird diese Erfahrung von Dir und mir und so vielen anderen Menschen unser Land und schließlich die Welt verändern. Kannst Du Dir vorstellen – wir sind immer noch im Gedankenexperiment – dass Menschen, die das Reich Gottes in ihrem Leben erfahren haben, die von der Liebe Gottes und ihrer Mitmenschen gekostet haben, so miteinander umgehen, wie wir es derzeit in der Ukraine oder im Nahen Osten sehen? Ich glaube, dass Erfahrungen von Solidarität und Liebe, von Achtung und Respekt Menschen verändern. Wenn Menschen einen Funken des Reiches Gottes in ihrem Leben spüren, dann wird das ihr Leben für immer verändern. Wenn Menschen in unseren Pfarrgemeinden Erfahrungen des Reiches Gottes machten, dann wären wir wohl im wahrsten Sinn des Wortes „Kirche“. Kirche ist Ort der Erfahrung und des Erlebens von Reich Gottes. Darin hat sie ihre ureigenste Existenzberechtigung.
Solidarität als Erfahrung des Reiches Gottes
Wir haben also im Gedankenexperiment festgestellt, dass es uns besser geht, dass wir glücklicher und zufriedener sind, wenn wir nicht nur auf das eigene ICH schauen. Wäre es dann eine Möglichkeit, dieses Gedankenexperiment in die Wirklichkeit zu übertragen. Nicht alles auf einmal, aber einen kleinen Schritt. Vielleicht beginnen wir mit einem Lächeln für unsere Mitmenschen, vielleicht auch mit einem ehrlichen Gruß. Egal wie klein der Schritt auch immer sein mag, den Du zu gehen bereit bist, er wird weitergehen, wird größer werden.
Ich weiß nicht, wie der Weg weitergeht, aber ich weiß, dass mit vielen kleinen Schritten etwas Großes beginnt. Wenn Du und ich heute beginnen, respektvoll und achtsam miteinander umzugehen, dann wird sich ganz langsam, Schritt für Schritt, die Welt verändern. Wenn wir solidarisch miteinander sind, dann kann in unserer Mitte Reich Gottes wachsen. Dann werden wir dieses Reich Gottes erleben. Ich lade uns heute ein, diesen ersten Schritt zu gehen: Menschen respektvoll und achtsam zu behandeln. Solidarisch miteinander umgehen. Ich vertraue darauf, dass Reich Gottes so erlebt und erfahren wird, mitten unter uns. Ich glaube, dass – wenn wir beginnen – Gott sein Reich bauen wird und dass dieses Reich die Menschen neugierig macht. Ja, mehr noch, es wird die Menschen anziehen, weil sie erleben, dass sie hier glücklicher und zufriedener sind. So können wir Schritt für Schritt die Welt verändern.